Extreme Rechte auf den Demonstrationen der Corona-Leugner*innen in Paderborn

Update:
Wir möchten die Berichterstattung seitens des Westfalenblatts zu unten stehendem Text wie folgt ergänzen:
1. Wir freuen uns zunächst einmal, dass die Lokalpresse das Thema jetzt auch aufgreift und auch, dass wir dazu beitragen konnten.
2. Die Einordnung der von Grundrechte Paderborn und anderen Querdenken-nahen Gruppen organisierten Demonstrationen als „Gegner der Corona-Politik der Bundesregierung“ ist gänzlich falsch und unzureichend. Die Proteste fußen auf der Leugnung der Pandemie, einem Weltverschwörungsglauben, Antisemitismus und der offenen Gleichgültigkeit bis Verachtung „Schwacher“ (wie vorerkrankter oder armer Menschen). Zahllose Kritiker*innen der deutschen Corona-Politik rufen genau aus diesen Gründen nicht dazu auf, sich diesen Demonstrationen anzuschließen.
3. Wir haben nicht behauptet, AfD und Junge Alternative würden die Demonstrationen mitorganisieren. Der Beitrag weist mit Quellenangabe darauf hin, dass sie in entsprechenden Telegram-Gruppen vertreten sind.
4. Selbst wenn wir diese Behauptung aufgestellt hätten, ist uns schleierhaft, wieso die Meinung eines Faschisten eingeholt und ihm darüber hinaus eine Plattform gegeben wird, seine reaktionären Ansichten zu verbreiten.
5. Wir haben auch nicht behauptet, alle an den Demonstrationen Teilnehmenden seien aktiv in der rechten Szene. Der Beitrag belegt anhand von Screenshots öffentlicher Telegram-Gruppen und Aufnahmen von Demonstrationen, dass a) Vetreter rechter Szenen von Anfang an offen an den Veranstaltungen teilgenommen haben und akzeptiert wurden, b) es grundlegende Überschneidungen im Weltbild zwischen diesen Vertretern und dem Rest der Proteste gibt und c) Teile der Corona-Leugner_innen sich explizit mit dem Kauf von Waffen beschäftigen.
6. Wir würden ebenfalls begrüßen, wenn auch bürgerliche Journalist*innen sich ein differenziertes Bild rechter Ideologien, Szenen und Strategien zulegen würden. Festzustellen, dass die Corona-Proteste grundlegende ideologische Überschneidungen mit der Extremen Rechten haben (wie Weltverschwörungsideologien, daraus resultierender Antisemitismus oder die Verachtung „Schwacher“), ist etwas anderes als ihnen zu unterstellen, in einer rechten Szene aktiv zu sein. Wenn solche grundlegendenen Überschneidungen vorhanden sind und extrem rechte Akteur*innen wie Weber oder Tim K. sich offen in die Demonstrationen einreihen, kann eben auch nicht mehr von sich untermischen die Rede sein. In Kurzfassung: Der Beitrag zeigt, dass die Teilnehmerin einer anderen Querdenken-Demonstration auch die Paderborner Demonstrationen sehr gut zusammenfasst.
7. Tim K. ist nicht mutmaßlich ein Rassist.
 
 
 
Durch die enormen Mobilisierungserfolge der Corona-Leugner*innen sind diese wieder vermehrt Teil der öffentlichen Debatte geworden. Auf den letzten großen Paderborner Demonstrationen waren wieder verschiedene Akteur*innen der Extremen Rechten anwesend. Neben der in der Lokalpresse aufgegriffenen Teilnahme von Timm „Tim K.“ Kellner liefen beim Aufmarsch am 10.01.2022 auch eine Gruppe von etwa zehn Personen der „Domstädter“ – rechte Hooligans des SC Paderborn – mit. Diese Auftritte reihen sich in eine bundesweit zu sehende Entwicklung ein, in der rechte Hooligans teilnehmen und sich im Falle eine Eskalation mit der Polizei als Speerspitze profilieren¹.
 
Um solche Entwicklungen zu erklären, wird häufig das Narrativ des „sich untermischen“ oder unterwandern“ der Proteste durch die Extreme Rechte bemüht. In Paderborn sind jedoch faschistische Gruppen und Personen seit Beginn fester Bestandteil der Demonstrationen. Die lokale Junge Alternative und AfD² nehmen schon seit zwei Jahren regelmäßig an den Demonstrationen teil und sind in den organisierenden Telegram-Gruppen vertreten³. Mehrmals waren Gerd und Anna-Maria Ulrich, die Teil der verbotenen HDJ waren, bei  den Kundgebungen der Paderborner Corona-Leugner*innen anwesend⁴. Sie haben Kontakte zu Teilen des Organisationskreis, mit denen zusammen sie eine Schilder-Aktion an einer Landstraße durchführten. Ebenfalls besuchte der Vorsitzende des Thule-Seminars Burkhart Weecke die Demonstrationen.
 
Auch bezogen auf ihr Weltbild gab es von Anfang an Überschneidungen zwischen extremer Rechter und den Corona-Protesten. Seit Beginn teilten Organisator*innen und Teilnehmende der Corona-Proteste strukturell und offen antisemitische Inhalte. Das ist auch nicht verwunderlich, ist doch die Erzählung der Coranaleugner*innen von der großen Corona-Verschwörung selbst schon antisemitisch. Die Narrative von der „Verschwörung einer globalen Elite“ sind dabei aus alten antisemitischen Verschwörungserzählungen wie den sogenannten Protokollen der Weisen von Zion oder der Brunnenvergiftererzählung übernommen. Auch die prinzipielle Ablehnung der sogenannten Schulmedizin spricht die ethnonationalistische Szene an, was sich auch in der Teilnahme der oben genannten Familie Ulrich und Burkhart Weeckes an den Demonstrationen widerspiegelt. Besonders abstoßend ist in diesem Kontext auch, dass einige Teilnehmende ihre Situation als Ungeimpfte in der Pandemie mit der Situation von verfolgten Gruppen im Nationalsozialismus vergleichen. Darüber hinaus teilen sowohl der Organisationskreis als auch die Teilnehmenden um Grundrechte Paderborn in diversen Telegram-Gruppen offen antisemitische Inhalte, von juden*jüdinnenfeindlichen Verschwörungstheorien um den Ukraine-Konflikt bis hin zur Shoa-Leugnung. Selbst die Shoa-Leugnerin Ursula Haverbeck wird in diesen Gruppen ohne große Kritik verbreitet.
 
Auch in Paderborn kann daher kaum von Unterwanderung die Rede sein. Wie schon in einem früheren auf dieser Plattform erschienenen Beitrag zu lesen war, sind die Corona-Proteste Teil der Extremen Rechten, nicht von ihr unterwandert.  Umso besorgniserregender ist dann, dass in den Kanälen von Grundrechte Paderborn inzwischen auch Hinweise zu anderen Kanälen geteilt werden, in denen Tipps zur Bewaffnung, vor allem mit Armbrüsten, gegeben wird. In Anbetracht dessen klafft eine gewaltige Lücke zwischen der Gefahr der Corona-Leugner*innen und dem laschen zivilgesellschaftlichen Umgang mit ihren wöchentlichen Aufmärschen.
 
 
Quellen:

Die völkische AfD Paderborn und ihre Verbindungen in andere Teile der extremen Rechten

Dass die AfD sich auch in Paderborn in Richtung des völkischen Flügels entwickeln würde, zeigte sich spätestens nach dem Höcke-Besuch 2016 [1]. Inzwischen sitzt sie seit über einem Jahr auch im Stadtrat und sucht über den nationalistischen, frauenfeindlichen und rassistischen Grundkonsens der AfD hinaus, immer wieder die Nähe zu offenen Faschist*innen und völkischen Erzählungen.
 

Die AfD Paderborn und ihre „Flügel“-Kämpfe

Eskaliert ist der Machtkampf zwischen dem nationalen Parteiflügel, vor allem vertreten durch den damaligen KV-Vorsitzenden Günther Koch, und dem völkischen Flügel um die Vormachtstellung im KV im Jahr 2017. Am Ende setze sich der Flügel durch und dessen Vertreter Karl-Heinz Tegethoff wurde KV-Vorsitzender [2-3]. Tegethoff ist auch 2021 noch Vorsitzender und sitzt für die AfD im Kreistag Paderborn. Tegethoff hat seine Vorstellung einer „ethnisch reinen“ Nation wohl am besten mit folgender Aussage zusammengefasst: „Nation ist für mich die Homogenität einer Gesellschaft als Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie“ [3] und hat, wie diese Plattform erst vor wenigen Tagen berichtete, keine Scheu vor Reichsbürger*innenpositionen.
 
Bei den Kommunalwahlen 2020 trat die AfD mit Marvin Weber zur Bürgermeister*innenwahl an. Weber wohnte anscheinend bis vor Kurzem in der Winfriedstraße, lebt inzwischen aber am Liboriberg 27 im obersten Stockwerk. Die Paderborner AfD schaffte es auch mit 5% und drei Ratsherren, inklusive Weber, in den Stadtrat einzuziehen. Seitdem versucht die Fraktion der AfD im Stadtrat ihre nationale Politik auch lokal umzusetzen. In Ihrem Wahlprogramm lehnen sie u. a. den Bau von Moscheen in Paderborn ab, schwafeln von No-Go-Areas in Paderborn, leugnen den Klimawandel und fordern unter Nutzung des strukturell antisemitischen Bildes des „Heuschreckenkartells“ [4-5] die Energiewende sofort zu stoppen.

Die AfD Paderborn und ihre Verbindungen zur übrigen extremen Rechten

Karl-Heinz Tegethoffs Sohn Matthias, der ebenfalls für die AfD im Kreistag sitzt, trägt ein Nebenprojekt des Kreisverbandes den Alternativen Kulturkongress. Durch die Rednerliste verdeutlicht sich die Nähe des Kreisverbandes zum Ethno-Nationalismus. Auf ihren Veranstaltungen treten neben prominenten Vertretern des Flügels wie Höcke, Mandic und Kalbitz auch der rechte Influencer Tim Kellner und ein Sprecher von Matteo Salvini (Lega Nord) auf [6].
 
Schon früh gab es Verbindungen der Jungen Alternativen (JA) Paderborn mit der Identitären Bewegung (IB). Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben oben erwähnten Matthias Tegethoff unter anderem Größen der IB wie Martin Küsterarend und Davy Mühlenbein [7-8]. Die Junge Alternative – auch die in Paderborn – distanzierte sich im Laufe der Jahre immer wieder von der IB, die Kontakte sind allerdings nie abgerissen. Bundesvorstandsmitglied der Jungen Alternativen Nils Hartwig ist selbst bei der Identitären Bewegung aktiv gewesen [9] und war auch in Aktionen der JA Paderborn involviert, unter anderem bei einer Banneraktion im März dieses Jahres vor der CDU-Zentrale Paderborn. Hartwig ist auch Mitglied der extrem rechten Burschenschaft Nibelungen aus Bielefeld [10-11]. Verbindungen zu den Nibelungen hat auch Bielefelder JA-Aktivist Jonas Vriesen, der immer wieder bei Aktionen der AfD und JA in Paderborn unterstützt. Mit diesen Verbindungen geht Vriesen auch sehr offen um und gratuliert den Nibelungen schon mal auf Facebook zum Geburtstag [11]. 
 

Die AfD Paderborn und die „Patrioten Paderborn“

Wie diese Plattform bereits berichtete, dient die Telegram-Gruppe „Patrioten Paderborn“ als Vernetzungspunkt verschiedener Akteuer*innen der extremen Rechten im Raum Paderborn. Darunter war unter anderem oben erwähnter Küsterarend, der sie jedoch direkt im Anschluss an die Veröffentlichung auf dieser Plattform verließ. Marvin Weber nutzte die Gruppe vor allem als Werbeplattform für seine eigenen Auftritte und Inhalte, trat dann aber aus, weil eine seiner Aktionen selbst dort als zu rassistisch angeprangert wurde. Weber war nicht das einziges AfD-Mitglied in der Gruppe. Dort anzutreffen ist auch Julian Hermneuwöhner, der die Gruppe vor allem nutzt um die Mitglieder von der Wahl der AfD zu überzeugen und Treffen zu organisieren. Hermneuwöhner wohnt in Büren und studierte nach eigenen Angaben an der Uni Paderborn Informatik. Innerhalb der lokalen AfD und JA hat er verschiedene Ämter und Funktionen und arbeitete darüber hinaus für den AfD-Landtagsabgeordneten Christian Loose. Er ist regelmäßig bei Veranstaltungen und Aktionen zugegen, unter anderem auch bei der bereits erwähnten Banneraktion der JA. 

 

Die AfD Paderborn und die lokale Corona-Leugner*innenszene

Die gesamte Pandemie über versuchte die AfD in Paderborn offensichtlich, Coronaleugner*innen als Wähler*innen zu gewinnen. In Social-Media-Posts aber auch bei Plakaten und Reden auf Veranstaltungen griffen AfD und JA immer wieder Verschwörungserzählungen der Corona-Leugner*innen auf. Am 01.05.2021 veranstaltete die Paderborner AfD beispielsweise eine Kundgebung zu dem Thema vor dem Paderborner Rathaus. Schon im Veranstaltungsaufruf wurden massive Grundrechtseinschränkungen und eine angebliche „Lockdown-Tyrannei“ herbeifantasiert. Neben Marvin Weber traten Rüdiger Lucassen und Markus Wagner, sowie Elia Siervers und Nils Hartwig ans Redner*innenpult.
 
Darüber hinaus sind auch einige Mitglieder des AfD KV Paderborn selbst in der Paderborner Coronaleugner*innenszene aktiv. Siegfried Meier (Beisitzer im Vorstand der AfD Salzkotten), Reimund Ruhe (Listenplatz 5 bei der Kommunalwahl 2020) und Roswitha Tegethoff sind beispielsweise in der Telegram-Gruppe „Querdenken Paderborn“. Siegfried Meier und Reimund Ruhe luden außerdem Demostreams der Coronaleugner*innen-Gruppe „Grundrechte Paderborn“ und Vlogs über die „Merkeldiktatur“ auf ihren Kanälen bei diversen Videoportalen hoch [11]. Auf einigen dieser gefilmten Demonstrationen sind unter anderem die bekannten Antisemit*innen und HDJ-Aktivist*innen Gerd und Anna-Maria Ulrich sowie Burkhart Weecke (stellvertretender Vorsitzender des rechtsextremen ThuleSeminars), gegen den gerade eine Anzeige wegen Volksverhetzung läuft, zu sehen [12-15]. 
 

Höcke-Kundgebung am 15.09.2021

 
Bei der AfD-Kundgebung vom 15.09.2021 auf dem Paderborner Marktplatz traten die oben beschriebenen Verbindungen deutlich zu Tage. Nicht nur bezeugt die erneute Einladung Höckes ihre Position zum ethnonationalistischen Flügel der AfD, auch das Publikum verdeutlicht die tiefe Vernetzung in andere Teile der extremen Rechten. Unter den Teilnehmer*innen waren unter anderem die oben erwähnten Burkhart Weecke, Martin Küsterarend und Nils Hartwig. Weber und Höcke machten sogar ein Foto gemeinsam mit IB-Kader Küsterarend, das Weber im Anschluss an die Veranstaltung in einer Instagram-Story teilte. Am Rande der Demo wurde auch DIE LINKE-Kandidatin Martina Schu von einem Teilnehmer der Kundgebung angegriffen. Das sagt bereits alles Notwendige über  den Charakter des Paderborner AfD-Kreisverbandes. Wir möchten an dieser Stelle Martina Schu unsere Solidarität aussprechen und wünschen ihr gute Genesung!
 
 

Die AfD Paderborn, AfD-MdB Udo Hemmelgarn und der Antisemitismus – Oder: Was AfD-Vertreter*innen von sich geben, wenn sie meinen unter sich zu sein

 
Inhaltshinweis: Verschwörungsideologien, (Vernichtungs-)Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, Schuldabwehr bei der Shoa, Rassismus
 
Demnächst stehen wieder Bundestagswahlen an. Inzwischen ist zwar klar, wofür die AfD steht, trotzdem gibt es Aussagen und Meinungen innerhalb der Partei, die ihre Vertreter*innen nicht gerne in der Öffentlichkeit sehen. In dieser Veröffentlichung dokumentieren wir daher genau solche Aussagen. Alles folgende wurde bei internen Veranstaltungen des KV Paderborn der AfD geäußert – also wenn Anwesende dachten, sie seien unter sich. Wir konzentrieren uns in der Veröffentlichung auf Aussagen von AfD-MdB Udo Hemmelgarn und seine Reaktionen auf die anderer Anwesender. Sie stehen aber nur exemplarisch für was bei diesen Veranstaltungen passiert. Hemmelgarn mag vielleicht nicht bundesweit als Faschist bekannt sein – sollte es aber vielleicht, da er auch in drei Wochen wieder für die AfD zur Bundestagswahl antritt. Er steht auf Platz 13 der NRW-Landesliste der Partei und hat daher gute Chancen für die AfD erneut in den Bundestag einzuziehen.
 

Der Große Austausch und der Vernichtungsantisemitismus

Eine – wenn nicht die – zentrale Verschwörungserzählung der Extremen Rechten ist der Große Austausch¹. Laut der Erzählung gäbe es ein zivilisiertes Europa, dem ein primitives Afrika und ein triebgesteuerter Naher Osten gegenüberstehen. Geflüchtete, die aus diesen beiden Regionen nach Europa fliehen, würden das den Anhänger*innen dieser Theorie zufolge, nicht individuell wegen Krieg, Hunger, Diskriminierung und Verfolgung tun, sondern gesteuert, koordiniert und geplant. Wer diese Massenflucht planen soll, hängt davon ab, wer gefragt wird. Offene Antisemit*innen sagen frei heraus, dass eine jüdische Verschwörung dahinter steckt. Weniger offene Antisemit*innen verstecken sich hinter Eliten, die im Hintergrund die Geschicke lenken. Ziel sei in jedem Fall das weiße Europa auszulöschen und Weiße durch Schwarze und/oder Menschen aus dem Nahen Osten zu ersetzen. Als Reaktion auf diesen herbeifantasierten Vernichtungsversuch sieht die Extreme Rechte, was sie ohnehin für richtig hält: Vernichtungsantisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und einen autoritären Staat. Daher ist auch nicht verwunderlich, dass die Idee hinter dem Großen Austausch keine neue in der Extremen Rechten ist. Während in der Neuen Rechten ‚Großer Austausch‘ die beliebteste Vokabel dafür zu sein scheint, kursieren auch weitere Begriffe wie ‚Volksaustausch‘ und ‚Bevölkerungsaustausch‘. In der traditionellen Extremen Rechten wurden und werden sehr ähnliche Konzepte auch ‚Umvolkung‘ und ‚Volkstod‘ genannt. In letzter Zeit erhielt die Idee während der Corona-Pandemie neuen Auftrieb. Viele Anhänger*innen des Großen Austausch sahen die Pandemie als den Moment, in dem der Austausch endgültig vollzogen wird. Sie sprachen daher von der Pandemie als Great Reset.
 
Hemmelgarn und weitere Anwesende bei den Veranstaltungen der AfD Paderborn behaupten wiederholt die Existenz des ‚Großen Austausch‘ oder greifen auf dessen Versatzstücke zurück. Am deutlichsten wird das im folgenden Ausschnitt, in dem Hemmelgarn sogar den Begriff ‚Volksaustausch‘ verwendet:
Hemmelgarn:„Und da sind richig schöne Programme dabei. Insbesondere …“
Zwischenrufer: „Volksaustausch“
Hemmelgarn: „… ja, kann man im Grundsatz sagen. Es wird mit diesen Programmen wird ein Volksaustausch [durchgeführt]. Die schaffen sich ein eigenes Volk.  Und es sind insbesondere Schwarzafrikaner. Und ich sag Ihnen ganz ehrlich, ich kann nicht erkennen, dass in Ghana, im Senegal oder auch in Burkina Faso, dass die Leute aus Asylgründen hier rüberlaufen, also wirklichen Asylgründen. Das sind alles ökonomische Sachen. Und die wissen das. Also: man schafft sich ein anderes Volk.“
 
 
Selbst die für die AfD typischen rassistischen Argumentationsmuster, die Hemmelgarn an anderen Stellen abspult, fügen sich nahtlos in diese Erzählung ein. So nennt er Flucht syrischer Geflüchteter im Jahr 2015 einen „Einmarsch [von] jungen Männern“, behauptet, dass der Bürgerkrieg in Syrien nur inszeniert sei und sagt: „Wer über sieben Grenzen läuft, das kann kein wahrer Flüchtling sein“. Es ist damit natürlich nicht gesagt, dass er sich für alle oben beschriebenen mit dieser Erzählung einhergehenden Forderungen offen einsetzen würde. Der dem ‚Großen Austausch‘ zu Grunde liegenden Denkweise folgt er aber auf jeden Fall und setzt sie bewusst ein.
 

Geschichtsrevisionismus, Reichsbürger*innen und Antisemitismus

Zuschauer*innen bei diesen Veranstaltungen docken oft nahtlos mit weiteren Verschwörungsmythen an solche Äußerungen an. Ein Anwesender spricht beispielsweise von „Betrügereien der Hochfinanz“ bzw. „den Allermächtigsten“, von denen „die ganze Welt unterworfen und ausgeraubt wird“ und die „die Kriege angezettelt“ hätten. Er bedient damit die weit verbreitete antisemitische Chiffre des parasitären, mächtigen Juden, der aus dem Hintergrund die Geschicke der Welt lenkt². Trotz dieser antisemitischen Ausfälle kann der Zuschauer mehr als dreieinhalb Minuten sprechen ohne unterbrochen zu werden und ohne inhaltlichen Widerspruch zu erhalten.
 
 
Es werden auch immer wieder Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus miteinander verknüpft. So behauptet ein Zuschauer unter breiter Zustimmung, dass die Geschichtsschreibung zum NS-Faschismus von den Alliierten gefälscht wurde. An anderer Stelle wird auch der Mythos des „Völkermordes an deutschen Vertriebenen“ verbreitet. Gemeinsames Element dieser Erzählungen ist nicht nur ihr Verschwörungscharakter, sondern auch ihre Funktion der Schuldabwehr gegenüber der Shoa. Hemmelgarn reagiert, wenn überhaupt, zustimmend auf solche Einwürfe, verweist aber darauf, dass diese Themen aktuell nicht öffentlich behandelt werden können. Das würde zu schlechte Presse geben. Man würde stattdessen „das Thema zur richtigen Zeit“ ansprechen.
 
 
Auch Verschwörungsmythen aus dem Reichsbürger*innen-Spektrum werden bei diesen Veranstaltungen offen verbreitet. Als ein Anwesender bei einer Veranstaltung behauptet, Deutschland befinde sich im Kriegszustand und es gäbe keinen Friedensvertrag, stimmt KV-Vorsitzender Karl-Heinz Tegethoff offen zu. Auch er gibt aber zu bedenken, dass es aktuell strategisch nicht sinnvoll sei, dieses Thema zu diesem Zeitpunkt öffentlich zu thematisieren. Hemmelgarn stimmt ebenso erneut zu und bezeichnet das Grundgesetz in diesem Zusammenhang als ein „Gesetz für Sklaven“. Das ist insbesondere interessant, weil er 2017 in den Kontext von Reichsbürger*innen gesetzt wurde³, damals aber beteuerte, er stünde „voll und ganz“ hinter dem Grundgesetz. An anderer Stelle wird in ebenso reichsbürger*innentypischer Manier behauptet, Deutschland sei ein „Vasallenstaat“ und „besetztes Land“. Auch hier gibt es keine Kritik. Wenn reagiert wird, dann mit inhaltlicher Zustimmung.
 

 

Israel und Antisemitismus

Im Zuge der oben besprochenen Diskussionen kam auch das Thema Israel und Deutschlands Verhältnis zu Israel zur Sprache. Anwesende dämonisieren Israel dabei, unterstellen ihm Staatsterror und ethnische Säuberung der palästinensischen Bevölkerung und nennen das Land einen „Vertreiber- und Verfolgerstaat“. Die Gratulation Alexander Gaulands und Beatrix von Storchs anlässlich des 70. Geburtstags Israels wird als die „schlimmste Unterwerfung und ein Verrat an unseren Eltern, Großeltern und an der deutschen Wehrmacht“ bezeichnet. Gerade Letzteres macht deutlich, dass kein Bruch mit dem NS-Faschismus und den deutschen Täter*innen erfolgt ist. Auch hier erfolgt wieder keine Kritik der Anwesenden. Im Gegenteil: Auf die „Untwerfung“ Gaulands und von Storchs angesprochen, reagiert Hemmelgarn mit „Das sind aber nicht alle, die sich unterworfen haben“. Er distanziert sich also von Gauland und von Storch und positioniert sich anti-israelisch antisemitisch. Das Thema wird mit der witzig gemeinten Ankündigung beendet: „Darum kümmern wir uns wenn wir 45% haben“.
 
 
Diese interne Positionierung steht in starkem Kontrast zur eigenen Außendarstellung der Partei als Verbündete Israels. Das ist natürlich nicht überraschend, da besondere Israel-Verbundenheit (nicht nur) von der Extremen Rechten gerne und oft genutzt wird, um den eigenen antimuslimischen Rassismus zu legitimieren. Das tat die AfD Paderborn selbst erst vor Kurzem – am 21. Mai 2021 – im Zuge der erneut aufflammenden Konflikte zwischen Israel und der Hamas, als sie, wie unten stehendes Bild zeigt, bei einer Kundgebung an der Herz-Jesu-Kirche Solidarität mit Israel heuchelte, um rassistische Abschiebeforderungen zu rechtfertigen und dabei nebenbei die Shoa verharmloste.
 

 

 

Das Verhältnis zur CDU (und Antisemitismus)

Ein regelmäßiger Gast von AfD-Veranstaltungen ist Hartmut Kluge, der bis mindestens 2018 nach eigener Aussage Mitlgied der CDU Hövelhof ist und in mehreren Aufnahen oben zu hören ist. Er sagt darin selbst, er sei mit Höcke befreundet und dass beide sich aus dem antisemitischen und CDU-nahen „Arbeitskreis Konservativer Christen“5 kennen. Kluge besuchte außerdem schon 2010 zusammen mit Höcke eine Nazi-Demo in Dresden6.
 
Ein anderes CDU-Mitglied, das offenbar wenig Abstand zu Hemmelgarn und der AfD hält, ist der Paderborner Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann. Nach Aussage Hemmelgarns ist Linnemann eins der wenigen Mitglieder des Bundestags, mit denen er ein gutes Verhältnis hat.
 
 
Zum Abschluss um das Trio der guten Verbindungen der AfD zur CDU zu unterstreichen und als Bonus für alle, die bis hier durchgehalten haben, noch eine bizarre Anekdote von Hemmelgarn über Aussagen des Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Zu klären, ob Hemmelgarn gelogen hat oder Jens Spahn sich wirklich nicht „traute“, diesen Quatsch öffentlich zu sagen, sehen wir nicht als unsere Aufgabe.
 
 
 
 

Vereinssitz der Identitären Bewegung bei Martin Küsterarend in Oberntudorf – Salzkotten

[Dieser Beitrag wurde freundlicherweise zurerst vom Recherchekollektiv OWL auf ihrer Seite veröffentlicht. Wir dokumentieren den Beitrag hier lediglich, da er Paderborn betrifft. Hier geht es zum Originaltext.]

Im Januar dieses Jahres wurde der Vereinssitz der Identitären Bewegung von Rostock nach Salzkotten verlegt. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Daniel Fiß nicht mehr Vereinsvorsitzender der Identitären ist [1]. Einige Wochen später wurde der Vereinssitz innerhalb des Ortes von der Brockensklee 27 in die Almestraße 10, 33154 Oberntudorf-Salzkotten verlegt [2].

Hier wohnt, wie sowohl vom engstem Familienkreis als auch in einer lokalen Telegram-Gruppe der extremen Rechten (siehe unten) von ihm selbst bestätigt wurde, der seit vielen Jahren in der Identitären aktive Martin Küsterarend. Küsterarend war zunächst im AfD-Umfeld aktiv. So gründete er 2014 – unter anderem zusammen mit David Mühlenbein – den Kreisverband Paderborn der Jungen Alternativen mit [3]. Außerdem besuchte er 2016 auch die AfD-Kundgebung in Paderborn, bei der Björn Höcke sprach. Nach seiner AfD-Zeit wurde er  zunehmend bei Aktionen der Identitären Bewegung gesichtet, unter anderem Anfang 2020 in Bielefeld [4], aber auch vor Kurzem in Köln oder beim sog. Sturm auf den Reichstag bei der Corona-Leugner*innen-Demo in Berlin [5-6].

Küsterarends Weltbild lässt sich auf seiner Facebookseite einfach erkennen. So folgt er dem Alternativen Kulturkongress [7],  der rechtsradikalen Parodieseite ZGI und der us-amerikanischen Faschistin Brittany Sellner. Er ist darüber hinaus in der extrem rechten Szene stark vernetzt. Unter seinen FacebookfreundInnen befinden sich nicht nur ranghohe IB-Kader, wie Kai Alexander Naggert (IB NRW), Armin Fuhrmann (IB Westfalen), Dorian Schubert vom ehemaligen identitären „Hausprojekt“ in Halle oder Robert Timm (IB Berlin), sondern auch Größen aus der lokalen rechten Szene. Dazu gehören unter anderem der Neonazi Dennis Spieker von der Hooligangruppe „Domstädter“ sowie die Vorstandsmitglieder der Jungen Alternative Detmold Julian Hermneuwöhner und Rico Kusnierz.

Außerdem ist Küsterarend unter dem Pseudonym „Madaladin“ Mitglied der Telegram-Gruppe „Patrioten Paderborn“. Hier werden verschiedene menschenfeindliche Inhalte geteilt und sich lokal vernetzt. Küsterarend gab in der Gruppe u.a. auch offen zu, dass er Mitglied der extrem Rechten Identitären Bewegung ist. Neben ihm ist in der Gruppe ebenfalls der Bürgermeisterkandidat der AfD Marvin Weber.

1. https://rechtemedieninfo.blogspot.com/2019/08/identitare-bewegung-deutschland-ibd.html
2. https://www.identitaere-bewegung.de/impressum/
3. https://www.nw.de/lokal/kreis_paderborn/bad_wuennenberg/10052865_Junge-Alternative-gruendet-Kreisverband.html
4. https://twitter.com/ibdoku/status/1227999943165698050
5. https://twitter.com/IbDoku/status/1301910427819847680
6. https://twitter.com/Antifa_Info_Bi/status/1300114750555160577
7. http://www.lotta-magazin.de/ausgabe/online/das-erfurt-des-westens-der-afd