Die AfD Paderborn, AfD-MdB Udo Hemmelgarn und der Antisemitismus – Oder: Was AfD-Vertreter*innen von sich geben, wenn sie meinen unter sich zu sein

 
Inhaltshinweis: Verschwörungsideologien, (Vernichtungs-)Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, Schuldabwehr bei der Shoa, Rassismus
 
Demnächst stehen wieder Bundestagswahlen an. Inzwischen ist zwar klar, wofür die AfD steht, trotzdem gibt es Aussagen und Meinungen innerhalb der Partei, die ihre Vertreter*innen nicht gerne in der Öffentlichkeit sehen. In dieser Veröffentlichung dokumentieren wir daher genau solche Aussagen. Alles folgende wurde bei internen Veranstaltungen des KV Paderborn der AfD geäußert – also wenn Anwesende dachten, sie seien unter sich. Wir konzentrieren uns in der Veröffentlichung auf Aussagen von AfD-MdB Udo Hemmelgarn und seine Reaktionen auf die anderer Anwesender. Sie stehen aber nur exemplarisch für was bei diesen Veranstaltungen passiert. Hemmelgarn mag vielleicht nicht bundesweit als Faschist bekannt sein – sollte es aber vielleicht, da er auch in drei Wochen wieder für die AfD zur Bundestagswahl antritt. Er steht auf Platz 13 der NRW-Landesliste der Partei und hat daher gute Chancen für die AfD erneut in den Bundestag einzuziehen.
 

Der Große Austausch und der Vernichtungsantisemitismus

Eine – wenn nicht die – zentrale Verschwörungserzählung der Extremen Rechten ist der Große Austausch¹. Laut der Erzählung gäbe es ein zivilisiertes Europa, dem ein primitives Afrika und ein triebgesteuerter Naher Osten gegenüberstehen. Geflüchtete, die aus diesen beiden Regionen nach Europa fliehen, würden das den Anhänger*innen dieser Theorie zufolge, nicht individuell wegen Krieg, Hunger, Diskriminierung und Verfolgung tun, sondern gesteuert, koordiniert und geplant. Wer diese Massenflucht planen soll, hängt davon ab, wer gefragt wird. Offene Antisemit*innen sagen frei heraus, dass eine jüdische Verschwörung dahinter steckt. Weniger offene Antisemit*innen verstecken sich hinter Eliten, die im Hintergrund die Geschicke lenken. Ziel sei in jedem Fall das weiße Europa auszulöschen und Weiße durch Schwarze und/oder Menschen aus dem Nahen Osten zu ersetzen. Als Reaktion auf diesen herbeifantasierten Vernichtungsversuch sieht die Extreme Rechte, was sie ohnehin für richtig hält: Vernichtungsantisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und einen autoritären Staat. Daher ist auch nicht verwunderlich, dass die Idee hinter dem Großen Austausch keine neue in der Extremen Rechten ist. Während in der Neuen Rechten ‚Großer Austausch‘ die beliebteste Vokabel dafür zu sein scheint, kursieren auch weitere Begriffe wie ‚Volksaustausch‘ und ‚Bevölkerungsaustausch‘. In der traditionellen Extremen Rechten wurden und werden sehr ähnliche Konzepte auch ‚Umvolkung‘ und ‚Volkstod‘ genannt. In letzter Zeit erhielt die Idee während der Corona-Pandemie neuen Auftrieb. Viele Anhänger*innen des Großen Austausch sahen die Pandemie als den Moment, in dem der Austausch endgültig vollzogen wird. Sie sprachen daher von der Pandemie als Great Reset.
 
Hemmelgarn und weitere Anwesende bei den Veranstaltungen der AfD Paderborn behaupten wiederholt die Existenz des ‚Großen Austausch‘ oder greifen auf dessen Versatzstücke zurück. Am deutlichsten wird das im folgenden Ausschnitt, in dem Hemmelgarn sogar den Begriff ‚Volksaustausch‘ verwendet:
Hemmelgarn:„Und da sind richig schöne Programme dabei. Insbesondere …“
Zwischenrufer: „Volksaustausch“
Hemmelgarn: „… ja, kann man im Grundsatz sagen. Es wird mit diesen Programmen wird ein Volksaustausch [durchgeführt]. Die schaffen sich ein eigenes Volk.  Und es sind insbesondere Schwarzafrikaner. Und ich sag Ihnen ganz ehrlich, ich kann nicht erkennen, dass in Ghana, im Senegal oder auch in Burkina Faso, dass die Leute aus Asylgründen hier rüberlaufen, also wirklichen Asylgründen. Das sind alles ökonomische Sachen. Und die wissen das. Also: man schafft sich ein anderes Volk.“
 
 
Selbst die für die AfD typischen rassistischen Argumentationsmuster, die Hemmelgarn an anderen Stellen abspult, fügen sich nahtlos in diese Erzählung ein. So nennt er Flucht syrischer Geflüchteter im Jahr 2015 einen „Einmarsch [von] jungen Männern“, behauptet, dass der Bürgerkrieg in Syrien nur inszeniert sei und sagt: „Wer über sieben Grenzen läuft, das kann kein wahrer Flüchtling sein“. Es ist damit natürlich nicht gesagt, dass er sich für alle oben beschriebenen mit dieser Erzählung einhergehenden Forderungen offen einsetzen würde. Der dem ‚Großen Austausch‘ zu Grunde liegenden Denkweise folgt er aber auf jeden Fall und setzt sie bewusst ein.
 

Geschichtsrevisionismus, Reichsbürger*innen und Antisemitismus

Zuschauer*innen bei diesen Veranstaltungen docken oft nahtlos mit weiteren Verschwörungsmythen an solche Äußerungen an. Ein Anwesender spricht beispielsweise von „Betrügereien der Hochfinanz“ bzw. „den Allermächtigsten“, von denen „die ganze Welt unterworfen und ausgeraubt wird“ und die „die Kriege angezettelt“ hätten. Er bedient damit die weit verbreitete antisemitische Chiffre des parasitären, mächtigen Juden, der aus dem Hintergrund die Geschicke der Welt lenkt². Trotz dieser antisemitischen Ausfälle kann der Zuschauer mehr als dreieinhalb Minuten sprechen ohne unterbrochen zu werden und ohne inhaltlichen Widerspruch zu erhalten.
 
 
Es werden auch immer wieder Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus miteinander verknüpft. So behauptet ein Zuschauer unter breiter Zustimmung, dass die Geschichtsschreibung zum NS-Faschismus von den Alliierten gefälscht wurde. An anderer Stelle wird auch der Mythos des „Völkermordes an deutschen Vertriebenen“ verbreitet. Gemeinsames Element dieser Erzählungen ist nicht nur ihr Verschwörungscharakter, sondern auch ihre Funktion der Schuldabwehr gegenüber der Shoa. Hemmelgarn reagiert, wenn überhaupt, zustimmend auf solche Einwürfe, verweist aber darauf, dass diese Themen aktuell nicht öffentlich behandelt werden können. Das würde zu schlechte Presse geben. Man würde stattdessen „das Thema zur richtigen Zeit“ ansprechen.
 
 
Auch Verschwörungsmythen aus dem Reichsbürger*innen-Spektrum werden bei diesen Veranstaltungen offen verbreitet. Als ein Anwesender bei einer Veranstaltung behauptet, Deutschland befinde sich im Kriegszustand und es gäbe keinen Friedensvertrag, stimmt KV-Vorsitzender Karl-Heinz Tegethoff offen zu. Auch er gibt aber zu bedenken, dass es aktuell strategisch nicht sinnvoll sei, dieses Thema zu diesem Zeitpunkt öffentlich zu thematisieren. Hemmelgarn stimmt ebenso erneut zu und bezeichnet das Grundgesetz in diesem Zusammenhang als ein „Gesetz für Sklaven“. Das ist insbesondere interessant, weil er 2017 in den Kontext von Reichsbürger*innen gesetzt wurde³, damals aber beteuerte, er stünde „voll und ganz“ hinter dem Grundgesetz. An anderer Stelle wird in ebenso reichsbürger*innentypischer Manier behauptet, Deutschland sei ein „Vasallenstaat“ und „besetztes Land“. Auch hier gibt es keine Kritik. Wenn reagiert wird, dann mit inhaltlicher Zustimmung.
 

 

Israel und Antisemitismus

Im Zuge der oben besprochenen Diskussionen kam auch das Thema Israel und Deutschlands Verhältnis zu Israel zur Sprache. Anwesende dämonisieren Israel dabei, unterstellen ihm Staatsterror und ethnische Säuberung der palästinensischen Bevölkerung und nennen das Land einen „Vertreiber- und Verfolgerstaat“. Die Gratulation Alexander Gaulands und Beatrix von Storchs anlässlich des 70. Geburtstags Israels wird als die „schlimmste Unterwerfung und ein Verrat an unseren Eltern, Großeltern und an der deutschen Wehrmacht“ bezeichnet. Gerade Letzteres macht deutlich, dass kein Bruch mit dem NS-Faschismus und den deutschen Täter*innen erfolgt ist. Auch hier erfolgt wieder keine Kritik der Anwesenden. Im Gegenteil: Auf die „Untwerfung“ Gaulands und von Storchs angesprochen, reagiert Hemmelgarn mit „Das sind aber nicht alle, die sich unterworfen haben“. Er distanziert sich also von Gauland und von Storch und positioniert sich anti-israelisch antisemitisch. Das Thema wird mit der witzig gemeinten Ankündigung beendet: „Darum kümmern wir uns wenn wir 45% haben“.
 
 
Diese interne Positionierung steht in starkem Kontrast zur eigenen Außendarstellung der Partei als Verbündete Israels. Das ist natürlich nicht überraschend, da besondere Israel-Verbundenheit (nicht nur) von der Extremen Rechten gerne und oft genutzt wird, um den eigenen antimuslimischen Rassismus zu legitimieren. Das tat die AfD Paderborn selbst erst vor Kurzem – am 21. Mai 2021 – im Zuge der erneut aufflammenden Konflikte zwischen Israel und der Hamas, als sie, wie unten stehendes Bild zeigt, bei einer Kundgebung an der Herz-Jesu-Kirche Solidarität mit Israel heuchelte, um rassistische Abschiebeforderungen zu rechtfertigen und dabei nebenbei die Shoa verharmloste.
 

 

 

Das Verhältnis zur CDU (und Antisemitismus)

Ein regelmäßiger Gast von AfD-Veranstaltungen ist Hartmut Kluge, der bis mindestens 2018 nach eigener Aussage Mitlgied der CDU Hövelhof ist und in mehreren Aufnahen oben zu hören ist. Er sagt darin selbst, er sei mit Höcke befreundet und dass beide sich aus dem antisemitischen und CDU-nahen „Arbeitskreis Konservativer Christen“5 kennen. Kluge besuchte außerdem schon 2010 zusammen mit Höcke eine Nazi-Demo in Dresden6.
 
Ein anderes CDU-Mitglied, das offenbar wenig Abstand zu Hemmelgarn und der AfD hält, ist der Paderborner Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann. Nach Aussage Hemmelgarns ist Linnemann eins der wenigen Mitglieder des Bundestags, mit denen er ein gutes Verhältnis hat.
 
 
Zum Abschluss um das Trio der guten Verbindungen der AfD zur CDU zu unterstreichen und als Bonus für alle, die bis hier durchgehalten haben, noch eine bizarre Anekdote von Hemmelgarn über Aussagen des Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Zu klären, ob Hemmelgarn gelogen hat oder Jens Spahn sich wirklich nicht „traute“, diesen Quatsch öffentlich zu sagen, sehen wir nicht als unsere Aufgabe.